Kunst im Julekalender? Ich sage: ja! Schon wieder!
Mit Michael Anchers großartigem Gemälde Juledag 1900 schließt mein Julekalender für dieses Jahr schon fast wieder seine Türchen.
Das Gemälde Juledag 1900 – also Weihnachtstag 1900 – gilt als ein Hauptwerk der dänischen Malerei. Keinem anderen Bild wurde auf der Ausstellung des Skagen Museums 1980 in Paris mehr Aufmerksamkeit zuteil als diesem Gemälde.
Das Bild zeigt fünf Frauen um einen Tisch im Speisesaal des Brøndums Hotels in Skagen. Es sind die Frauen der Familie Brøndum, von links nach rechts zeigt es Marie Brøndum, Hulda Brøndum, die 75jährige Ane Hedvig Brøndum, Helga Ancher stehend und Anna Ancher. Sie haben sich zum Weihnachtsfest versammelt, alle in dunklen Kleidern bis auf Helga in gelbem Kleid. Auf dem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Buch – vermutlich eine Bibel – aus der Marie offenbar gerade vorgelesen hatte.
Im Hintergrund ist Michael Anchers Triptychon Brænding mod kysten, das noch heute im Speisesaal hängt, zu sehen.
Inspiration zu diesem Gemälde war womöglich eine Photographie – diese zeigt die ganze Familie, auch Degn Brøndum und John Brøndum, sowie im Hintergrund stehend Michael Ancher selbst.
Ancher fertigte für das Gemälde mehrere Skizzen an, von denen einige erhalten sind.
Für die letztendliche Komposition war ganz offensichtlich die Kenntnis eines Gruppenportraits von Julius Paulsen sowie das bekannte Interesse Anchers für Rembrandt und die Kenntnis dessen Gemäldes „De Staalmeesters“ von Bedeutung.
Julius Paulsen, ein sehr bekannter Portraitmaler seiner Zeit, platziert die fünf Mitglieder einer Ausstellungskommission, die er portraitiert, ebenfalls an einem Tisch: drei von ihnen an der Längs- einen jeweils an den Kopfseiten, was der Komposition der Figuren bei Ancher nahekommt. Einige schauen aus dem Bild heraus und betrachten etwas, das wir nicht sehen können – vermutlich ein Gemälde für die Ausstellung.
Auf einer der Skizzen ist eine weitere Person sowie Degn Brøndum zu sehen, der am unteren linken Bildrand in einem Lehnstuhl sitzt. Die Blicke der Frauen sind auf ihn gerichtet. Degn war der Besitzer von Brøndums Hotel, das seit den 1870er Jahren Treffpunkt der Skagensmaler war. Auf der Skizze ist eine weitere Person zu erkennen, die hinter dem Lehnstuhl steht.
Eine weitere Skizze zeigt bereits das Personenensemble des Gemäldes, jedoch scheinen sich die Blicke der Frauen direkt auf den Betrachter zu richten. Auf dem Tisch sind Milchkännchen und Zuckertopf sowie ein Brotkorb zu sehen.
Das Zubehör für ein Kaffeetrinken, das auf der Skizze noch zu finden ist, ist auf dem Gemälde verschwunden. Hier befindet sich zwar noch die feine Tischdecke auf dem Tisch, auf ihr liegt jedoch nur noch die aufgeschlagene Bibel. Die Blicke der Frauen richten sich auf etwas oder jemanden außerhalb des Bildes und gehen am Betrachter vorbei.
Die erhöhte, leicht gebeugte Figur der Helga macht das Gruppenportrait etwas weicher als das von Paulsen – für dieses Detail wird in der Forschung gerne Rembrandts Werk „De Staalmesters“ als Vorbild für Ancher genannt. Aber auch die Dreiteilung der Figurengruppe – Marie und Hulda, die alte Frau Brøndum mit den gefalteten Händen als (leicht verschobener) Mittelpunkt und Helga und Anna – , der gemeinsame Blick außerhalb des Bildes sowie die fast schon aristokratische Stimmung des Gemäldes und Haltung der Personen wird der Anlehnung an Rembrandt zugeschrieben.
Findet Ihr nicht auch, dass das Gemälde etwas Feierliches, Festliches, geradezu Erhabenes ausstrahlt? Vielleicht habt Ihr mal die Gelegenheit, Euch das Bild im Original anzusehen – allein ob der Größe des Gemäldes (142 x 221 cm) wird diese Stimmung transportiert, finde ich.
Und vielleicht stellt Ihr Euch dann auch die Frage, wen die Frauen anschauen? Oder was es bedeuten mag, dass die alte Frau Brøndum eher auf der Seite von Helga und Anna sitzt?
Oder was an dem Gemälde denn eigentlich Weihnachten ist – erkennt Ihr es?
Alle Photos mit freundlicher Genehmigung von SkagensMuseum