Alle reden über Hygge – ich auch. Kapidaenins Julekalender #4

Geradezu inflationär benutzt ist HYGGE heute in aller Munde. Ob nun die unzähligen Bücher, die zu erklären versuchen, was denn Hygge sei, ein Magazin, das sich dem Thema verschrieben hat, Hashtags #hygge unter Photos auf Instagram, unzählige gleichnamige Marken oder Artikel zum Thema in der lokalen Zeitung- Hygge ist in.


Neulich hörte ich am Nebentisch „Klar, kenne ich Hygge – das ist doch dieser neue Einrichtungsstil.“ Ähm, nein – aber tatsächlich könnte man diesen Eindruck erlangen: skandinavische Möbel und Design aus dem Norden werden häufig mit dem neuen Lieblingswort in Verbindung gebracht, ebenfalls neue Rezepte, Mode oder eben schummrig mit Kerzenlicht oder Kaminöfen beleuchtete Szenen aus heimischen Wohnzimmern, häufig mit ein oder zwei bestricktstrumpften Füßen im Vordergrund, die auf Instagram gepostet werden.


Hygge ist Kopfsache


Ist das denn nun dieses Hygge? Ja und nein. Hygge hat erstmal gar nichts mit Äußerlichkeiten zu tun, Hygge ist vor allem eine innere Einstellung. Ein Lebensgefühl also und hat an sich nichts mit Wohnlandschaften, Kerzenlicht, komplizierten Rezepten oder rot-weißen Strickmustern am Hut. Hygge ist nämlich vor allem erstmal eins: unkompliziert. Und auch das viel zitierte Hygge Manifest, das Meik Wiking, der Leiter des HappyResearchInstitutes, in seinem Buch HYGGE (wie auch sonst) veröffentlichte, enthält weder Einrichtungstipps noch die besten Hygge-Rezepte. Vielmehr geht es im Großen und Ganzen um das, was der ein oder andere schon aus Ausflügen in fernöstliche Philosophie, Achtsamkeitstraining oder zum Beispiel Yoga kennen mag:


Sei im Hier und Jetzt ~ genieße das Leben jetzt und sei dankbar ~ begreife dein Dasein nicht als Wettkampf – du wirst so gemocht wie du bist ~ sei ein Teamplayer ~ schalte mal ab und entspanne dich ~ bau Beziehungen auf und schaffe Erinnerungen ~ such dir einen Rückzugsort und begreife ihn als Ort des Schutzes – all dies passiert im Kopf und hat so wenig mit Kissenbezügen zu tun wie HotDog mit Marmelade.


Meik has been called The Indiana Jones of Smiles and probably the World´s happiest man.

The Times


Wiking manifestiert aber auch, dass man sich etwas gönnen möge (kulinarisch!), man möge es sich bequem machen und – und vielleicht ist das die Wurzel allen Übels – Atmosphäre schaffen, indem man – zum Beispiel – eine Kerze anzünde. Und da sind sie wieder: die Kerzen, die flauschigen Sofas und knisternden Kaminfeuer. Aber was, wenn gerade die aufgezählten Äußerlichkeiten des Hyggemanifestes nur dazu dienen sollen, den Moment zu genießen? Das Jetzt und Hier wertzuschätzen – das Stück Schokolade auf der Zunge zergehen zu lassen ohne dass der Kalorienzähler Alarm schlägt. Es sich auf dem alten Sofa bequem machen, auch wenn schon längst ein neues fällig wäre. Und Kerzen – Kerzen „levende lys“ wie es im Dänischen heißt – also lebendiges Licht – dieser Faszination können sich doch die wenigsten Menschen entziehen, so dass dieses flackernde Licht schon seit jeher zu einer Art innerer Einkehr führt. Also Äußerlichkeit, um eine innere Einstellung zu gewinnen bzw. zu pflegen? Fun Fact: Dänemark ist das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Kerzen – es sind 4,3 kg pro Jahr.

macro shot photography of tea candles


Hygge ist das, was uns guttut


Hygge ist etwas, das man nicht kaufen kann. Man kann es nicht basteln oder kochen. Und Hygge lässt sich nicht kopieren – auch die vielbeschriebene Julehygge entsteht nicht automatisch dadurch, dass die Weihnachtsdekoration aus dem Lifestyle-Magazin 1:1 umgesetzt, die rot-weißen Socken nach dänischer Anleitung gestrickt und verpackt und ein originales Weihnachtsmenü aus dem Land der Hygge nachgekocht ist – frage ich mich unentwegt, ob der Braten wohl gelingt und was ich abends zu trinken anbiete oder ob wohl die Socken warm genug sein werden – was soll ich überhaupt morgen anziehen? – und wo ich den gesamten Dekokram nach Weihnachten verstauen soll, dann tritt nichts von dem Gefühl, von der Einstellung, die mit dem Wort Hygge bezeichnet wird, ein und das ganze endet als ambitionierter, aber dennoch vergeblicher Versuch, Hygge für sich zu erobern.


Als ich mal nach sehr langer Zeit eine alte Freundin wiedertraf und wir ein wenig gequatscht haben, sagte sie mir später, das sei so unheimlich hyggelig gewesen. Wir standen auf dem Gehweg, beide vollbepackt mit Einkäufen. Im Nieselregen bei 3 Grad. Und ich fand, sie hatte absolut recht.
Und ohne, dass ich Euch wünschen würde bei Nieselregen und 3 Grad draußen stehen zu müssen – das Gefühl – diese Hygge – das wünsche ich Euch. Überhaupt. Und besonders zu Weihnachten.



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